Heilbronner Stimme vom 10. 7. 2014 von Leonore Welzin

Absolut einzigartig!

Pianist Michael Leslie: „Romantischer Sommer mit Beethoven und Schubert“
im Wasserschloss

Bad Rappenau Wenn Beethoven ein Tastenteufel war, dann ist Michael Leslie sein Prophet. Bevor sich der gebürtige Australier und Konzertpianist an den Flügel im Wasserschloss setzt, erzählt er von einem vierstündigen Klavierabend, den Beethoven bei Eiseskälte gegeben, und bei dem er viel improvisiert habe. Teil dieser virtuosen Improvisation sei, so wird vermutet, durch die „Fantasie op. 77“ überliefert. Das Stück in g-Moll ist laut Leslie „ein ungewöhnliches Werk, selten gespielt, da es von Vielen für schwach gehalten wird“.

Er teile diese Meinung nicht, und beginnt mit den hingewischten Passagen. Aus dieser kurzen Klang-Sturzflut kristallisieren sich komplementäre Motive, ein wahrhaftes Stimmungsgewitter braut sich zusammen, höllisch schwierig, in atemraubender Intensität dargeboten, doch ohne jegliche Attitüde. Einfach so, als könne man Ludwig vans Verrücktheiten auf den Tasten aus dem Ärmel schütteln!

Ein umwerfender Auftakt. Zum nächsten Stück, der „Waldstein Sonate“ sei schwer etwas Neues zu sagen. Bestechend schon der originelle Anfang, die wiederholten Akkorde, nichts Vergleichbares gäbe es bis dahin. Und so unvergleichlich präsentiert Leslie Beethovens Maßstäbe setzende Komposition. Bekannt als „unscheinbarer Meister" (SZ) und Beethoven Spezialist, interpretiert Leslie die Musik nicht, vielmehr verkörpert er das Universum hinter dem Klang. Streckenweise summt er mit wie Glenn Gould. Schuberts Spätwerk „Die große B-Dur Sonate“ D 960, ein von der ersten bis zur letzten Note lyrisches Werk, das in Liedern ohne Worte einen Lebenszyklus durchläuft, rundet den Abend „Romantischer Sommer mit Beethoven und Schubert“. Genial und absolut einzigartig!

Von Leonore Welzin

© Heilbronner Stimme
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion

Rhein Neckar Zeitung vom 27. November 2013, von Pia Geimer

Schuberts „Winterreise“ wurde zu einem grandiosen Erlebnis

Jan-Ole Lingsch (Bariton) und Michael Leslie (Klavier)
brillierten als Traum-Duo

Wohl kaum ein Liederzyklus bewegt uns so starkvermag so tief und existenziell an menschliche Abgründe zu rühren wie Schuberts „Winterreise“. Dabei sind die Gedichte von Wilhelm Müller, die der 31jährige Franz Schubert hier kurz vor seinem Tod im Jahre 1828 auf so unvergleichliche Weise vertont hat, für die Romantik nicht einmal so außergewöhnlich: Sie beschreiben den Monolog eines jungen Mannes, der enttäuscht von der Liebe sich auf eine Wanderschaft durch eine eisige Winterlandschaft begibt. Diese Wanderung, eher eine Flucht, führt allerdings nicht zu einer läuternden Katharsis, zu einer Verarbeitung des Schmerzes. Das Lyrische Ich zieht sich quasi narzisstisch immer mehr in sein Inneres zurück, all seine positiven Lebensenergien, die sich gelegentlich noch in Rückblicken an eine jugendlich-unbeschwerte Zeit ausdrücken, erstarren immer mehr wie die trostlose Landschaft um ihn herum. Schubert hat diesem Gedichtzyklus durch seine Vertonung eine unglaubliche zusätzliche Tiefe verliehen und ihn damit unsterblich gemacht. Auch für heutige Sänger gleicht die „Winterreise“ einem Ritterschlag, nicht zuletzt weil jeder, der diese 24 Lieder einspielt oder aufführt, sich an allen Großen seiner Zunft messen lassen muss. Ob dieser Gedanke für Jan-Ole Lingsch (Bariton) und Michael Leslie (Klavier), die am Sonntag in der Stiftskirche „ihre“ Winterreise vorstellten, mehr Belastung oder befruchtender Ansporn gewesen ist, wurde angesichts des grandiosen Ergebnisses ganz und gar unwichtig. Denn den beiden Ausnahmemusikern gelang eine durch und durch inspirierte, unglaublich anrührende und bei den zahlreichen Zuhörern sicher für lange Zeit nachschwingende Interpretation. Ein Dank gebührt an dieser Stelle dem Initiator der Zusammenarbeit, Hans Georg von Rantzau, der auch eine kleine Einführung übernahm.

Sowohl Jan-Ole Lingsch, der mit seinen Basspartien z.B. in der „Matthäuspassion“ und im „Elias“ begeisterte, als auch der wunderbare australische Pianist Michael Leslie mit seinen unvergessenen Beethoven-Interpretationen sind in Mosbach bereits wohl profilierte Solisten. Jetzt waren sie erstmals als Duopartner zu hören und erwiesen sich als echtes Traumteam. Musikalische Details wurden mit liebevoller Akribie herausgearbeitet, dabei der große Bogen vom ersten zum letzten Lied, der Weg des unglücklich verliebten jungen Romantikers zum innerlich erstarrten Weltverweigerer mit ergreifender Schlüssigkeit durchgestaltet. Jan-Ole Lingschs prachtvoller Bariton, der in allen Lagen warm und voll klang und zu keinem Zeitpunkt angestrengt wirkte, ist tatsächlich eine Klasse für sich. Diese Version von Schuberts „Winterreise“ musste sich neben anderen bekannten Interpretationen wahrlich nicht verstecken, im Gegenteil: mit seiner intelligenten und hochmusikalischen Umsetzung - in Verbindung mit dieser wunderschönen Stimme berührte er die Zuhörer ganz direkt und ließ den Schubertschen Zauber in aufregender Weise wirken.

Natürlich war daran zum wesentlichen Teil auch Pianist Michael Leslie mit seiner ebenfalls grandiosen Leistung beteiligt. An dem schönen alten Bechstein-Flügel von 1902, der seinem vielschichtigen, lyrischen Spiel sehr entgegen kam, ließ er vor den Ohren der Zuhörer ein detailliertes Bild der Landschaften entstehen, durch die der unglückliche Wanderer zieht. Auch die häufigen Wechsel der Seelenlage des Protagonisten werden vom Klavier kommentiert, manchmal auch vorweggenommen. Eigentlich waren hier zwei Sänger am Werk, denn Michael Leslies ausgefeilte Melodieführung und sehr eigenständiger Antrieb vom Klavier aus waren weit mehr als eine pure Begleitung der Singstimme. Er wurde hier zum echten Partner, auch wenn in der großen Akustik sicher das Klavier dynamisch etwas zurückhaltender bleiben musste als in einem Konzertsaal. Mit einem geradezu atemberaubenden „Leiermann“ setzten die beiden Musiker einen ergreifenden Schlusspunkt unter eine denkwürdige „Winterreise“.

Von Pia Geimer

© Rhein Neckar Zeitung
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Artikel vom 22.10. 2013 im Feuilleton der Neuen Presse Coburg von Dr. Peter Müller

Freiheitsdrang eines Revolutionärs

Michael Leslie zeigt den schmalen Grat auf dem Weg zu Beethovens Olymp auf. Als Mensch und Künstler fasziniert er Coburgs Musikfreunde im Kongresshaus.

Coburg - Sind wir ehrlich, der Kalauer lohnt sich: Das war ein Hammer! "Beethoven pur" hatte der aus Australien stammende Konzertpianist Michael Leslie als Motto über sein Programm für Montagabend bei den Coburger Musikfreunden im Kongresshaus Rosengarten geschrieben. Es waren nur zwei Namen zu merken: Ludwig van Beethoven (1770-1827) und Michael Leslie (* 1943). Aber die hatten es in sich.

Auf wunderbare angelsächsische Art führte der Pianist sehr informativ, redegewandt, mit umfassender Kenntnis und viel Humor in die Struktur und Wertigkeit jedes einzelnen Werks ein, bevor der nun auf den Geschmack und tieferes Verständnis gestoßene Konzertbesucher dem zarten und hyperkorrekten Anschlag des Klaviervirtuosen auch im energischen Widersprechen eines Motivs genießend lauschen konnte. Die schon auf die Einfachheit als höherer Natur der Musik hinzielende "Sonate F-Dur op. 54" führt zwei Themen in einen klaren Disput, in dem die Thesen festzustehen scheinen. Eine lieblich weibliche Stimme singt eine Melodie voller Glaube an die Schönheit, der ein raues, dazwischen funkendes Thema Widerpart leistet, bis es erkennt, dass beide Gleiches wollen, nur ihre Temperamente unterschiedlich reagieren. Das Motiv der Schönheit setzt sich energisch durch. Nach diesem kommunikativen "Menuetto" geraten im "Allegretto" alle wohlgeordneten Gefühle und Harmonien in Aufruhr. In einem Perpetuum mobile, einem furiosen Treiben von Motiven, verzweigen sich deren charaktervolle Antriebe und Lösungsansätze wie Dornenranken empor zum Licht, ohne dass zwischendurch Raum bleibt, die eigene natürliche Schönheit im Kleinen zu bestaunen. Am Ende: Nichts wie hoch und raus, aus.

Aus einem Guss

Wie eine Toccata oder Fantasie aus einem Guss erklang mit dem nuancierten Feingefühl und klaren Spannungsaufbau Michael Leslies, der jedem Ton und jeder Phasenverschiebung ihres Wertes nachging und sie zum Klingen brachte, "À Thèrése" die "Sonate Fis-Dur op. 78". Eine liedhafte, ideenreiche Sonata quasi una Fantasia präsentierte sich, mit Neigung zum tänzerischen volkstümlichen Rondo, zur durch Modulationen und Variationen umspielten freien Improvisation, und zum kontrastreich bestärkten Drang hin zum Hohen Lied. Alles entwickelt sich aus vier einleitenden Takten, "Adagio cantabile" überschrieben, die das Motto angeben, um mit Tempo ("Allegro ma non troppo - Allegro vivace") kräftige Koloraturen zum kleinen pastellfarbenen Hauptmotiv zu malen. Ganz liebevoll und wie in Samt gebettet präsentierte Michael Leslie die fein geschliffenen Diamanten der "6 Bagatellen op. 126", der letzten Klavierstücke Ludwig van Beethovens. Als wertvolle Ideen- und Musiksplitter spiegeln sich die Kristallstrukturen der ganz großen Kompositionen in ihnen. Dieselbe Kraft der Form und Kühnheit der Konstruktion findet sich wie in Eiskristallen repräsentativ im Kleinen für das Ganze. Ein harmonischer Mikrokosmos feinster Klangschattierungen und geistvollster Apercus begleitete die vielen angespannten Besucher und den Künstler in die Pause. Mit keiner dieser progressiven Kompositionen, die seine revolutionäre "Neue Musik" als Zumutung für die Gesellschaft vorstellten, als Freiheitslust eines romantischen Revolutionsmenschen, ging er in seiner geistigen Anforderung an den Musiker und Hörer so weit wie in seiner - zu Lebzeiten für unspielbar geltenden - "Hammerklavier-Sonate", seiner "Sonate B-Dur op. 106". Mit ihr scheint Beethoven jedes klassische Maß zertrümmert zu haben. Die Sonatenform scheint eine leere Hülle seiner experimentellen Verrücktheit und seines romantischen Wahns.

Glasklares Spiel

Gegen alle Vorurteile und Missverständnisse demonstrierte Michael Leslie mit seinem transparenten und glasklaren Spiel Beethovens dialektischen Sprung "Zurück zur Natürlichkeit", zurück in die Einfachheit der Konstruktion, in die Vielfältigkeit der Kombinationsmöglichkeiten aus nur wenigen ursprünglichen, letzten Gesetzen heraus. Beethoven sprengt nicht die Form, sondern er offenbart und fordert die souveräne Beherrschung der Form, die Klarheit und Konzentration der Darstellung. Gerade im aufhebenden Rückgriff auf die Fuge im großen Finalsatz verwendet er ein barockes Ausdrucksmittel zur höchsten Konzentration des intellektuellen Inhalts, nachdem die "Unschuld der Homophonie" längst verloren war. Es war begeisternd, Zeuge dieser reinen Art der Klavierkunst mit Michael Leslie zu sein, der als Erzähler den Weg zu mehr Verständnis der Klavierwerke Beethovens wies und als Virtuose seine Zuhörer schlichtweg vom Sessel riss. Ein großer Musikabend mit einem gefeierten Solisten, der viel zu Denken aufgab.

Von Dr. Peter Müller

© Neue Presse Coburg
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Coburger Tageblatt Feuilleton Artikel 23.10.13 von Gerhard Deutschmann

Grandseigneur des Klavierspiels

Auftritt Wie der australische Altmeister des Klaviers Michael Leslie bei den Musikfreunden mit „Beethoven Pur“ die Herzen der Zuhörer gewinnt und am Ende mit stehenden Ovationen bedacht wird.

Coburg – Hans von Bülow bezeichnete einst das „Wohltemperierte Klavier“ Bachs als das „Alte Testament“, die 32 Klaviersonaten von Beethoven als das „Neue Testament“ des Klavierspiels. Das ehrgeizige Beethoven-Projekt der Musikfreunde widmet sich seit einigen Jahren Letzterem und kam seinem Ziel beim jüngsten Konzert um ein ganzes Stück näher.

„Szenen einer Ehe“

Der als „Geheimtipp“ gehandelte, in München lebende 70- jährige Pianist Michael Leslie hatte nicht weniger als drei Sonaten des Wiener Meisters im Gepäck, dazu dessen letztes Klavierwerk überhaupt, die sechs Bagatellen op. 126.

Die Zuhörer erlebten nicht nur meisterhafte Interpretationen, sondern zugleich auch ausführliche Einführungen zu den Werken, wodurch der Abend die sonst übliche Konzertlänge um einiges überschritt. Am Beginn standen zwei seltener zu hörende Sonaten der mittleren Schaffensperiode, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie zweisätzig sind. Ansonsten sind sie durchaus verschieden im Charakter. Die Sonate F-Dur op. 54 zeigt im ersten Satz schroffe Gegensätze (vom Pianisten humorvoll als „Szenen einer Ehe“ bezeichnet), im zweiten ein brillantes Perpetuum mobile.

„Kühle Kostbarkeiten“

Die der Gräfin Therese von Brunswick gewidmete Sonate 24 Fis-Dur op. 78 ist mehr melodisch ausgerichtet und weist deutliche motivische Beziehungen zwischen beiden Sätzen auf. Michael Leslie zeigte in beiden Werken kultivierten, differenzierten Anschlag, überlegene Technik und ausdrucksvolle, dynamisch ausgefeilte Gestaltung.

Als „kühle Kostbarkeiten“ könnte man die sechs Bagatellen op. 126, Beethovens letztes zusammenhängendes Klavier- werk, bezeichnen, die sehr konzentriert, ja manchmal (wie etwa in der letzten) geradezu konstruktiv komponiert sind und keineswegs als „Hausmusik“ gedacht sind, wie der Titel vermuten ließe. Michael Leslie bot eine feinsinnige Ausdeutung dieser Pretiosen mit erkennbarer Liebe zum Detail und brachte so eindrucksvoll den jeweiligen Charakter der einzelnen Stücke zum Erklingen.

Mit Bravour gemeistert

Nur wenige Pianisten wagen sich an das dreiviertelstündige Riesenwerk der Sonate B-Dur op. 106, der Großen Sonate für das Hammerklavier, die 1818 nach einer Lebenskrise entstand und seinem Freund und Förderer, dem Erzherzog Rudolph gewidmet ist. Michael Leslie wagte es und bot eine überzeugende Wiedergabe dieses Meilensteins in der Musikgeschichte, der mit einer haarsträubenden Fuge endet, die der Pianist mit Bravour und nie erlahmender Kraft und Konzentrationsfähigkeit bewältigte.

Begeisterter Beifall und die schon erwähnten – bei den Musikfreunden sonst selten zu erlebenden – stehenden Ovationen. Stehende Ovationen für Michael Leslie in Coburg

von Gerhard Deutschmann


Coburger Tageblatt Feuilleton Artikel 23.10.13 von Jochen Berger

Ein Pianist, der in kein gängiges Raster passt

Coburg – Wenn ein Pianist des Jahrgangs 1943 noch immer als Geheimtipp gilt, sagt das vermutlich mehr über den Musikbetrieb aus als über den betreffenden Künstler. Bei seinem Coburg-Debüt im Kongresshaus wird der in München lebende Pianist Michael Leslie mit stehenden Ovationen verabschiedet.

Schneller, lauter, bunter - so scheint das Profil jener Künstler zu sein, die sich auf dem hart umkämpften Klassikmarkt durchsetzen wollen. Jung und virtuos sollten sie sein und möglichst fotogen - ob sie dann interpretatorisch tatsächlich etwas zu sagen haben, ist zunächst einmal gar nicht so wichtig.

Ein Künstler wie Michael Leslie, 1943 in Sydney geboren und seit vielen Jahren in München lebend, passt da nicht recht hinein in dieses Raster. Er versteht sich ganz kompromisslos als Sachwalter der Komponisten, wie auch sein Debüt bei der Coburger „Gesellschaft der Musikfreunde“ beweist. Einen dicken Stapel an Partituren hat Leslie dazu auf dem Steinway-Flügel platziert - freilich nicht, weil er sich dem Usus des Auswendigspielens widersetzen will, sondern um deren Vorworte vorzulesen.

„Beethoven pur“

Denn Michael Leslies Gastspiel im Kongresshaus unter dem Etikett "Beethoven pur" ist nicht einfach nur ein Konzert, sondern fast eine Vorlesung mit integriertem Konzert. Mit dem Vorwort einer Notenausgabe aus der Mitte des 19. Jahrhunderts macht Leslie deutlich, wie sehr sich der Blick auf Beethoven verändert hat. Dieses Wissen um die Verfallszeiten scheinbar unverrückbarer Wahrheiten bewahrt Michael Leslie vor jeder Form von dogmatischer Rechthaberei. Er ist unbeirrbar in seinem Bestreben, dem Willen des Komponisten möglichst nahe zu kommen und weiß doch zugleich, dass große Musik natürlich mehr zulässt und verträgt als nur eine einzige Lesart, die dann als die vermeintlich endgültige präsentiert wird.

Wer die Karriere von Michael Leslie betrachtet, findet manche CD-Einspielung, manche Rundfunkaufnahme sowie Auftritte mit namhaften Orchestern. Doch die großen Plattenfirmen haben Michael Leslie nicht im Repertoire. Warum nur?

Weil er nicht stromlinienförmig wirkt? Weil seine Sicht beispielsweise auf Beethoven Ecken und Kanten hörbar macht? Genau damit aber wird dieser Pianist unverwechselbar wie an diesem Abend, den er mit einer fulminanten Deutung der einst als unspielbar geltenden "Hammerklavier-Sonate" krönt.

von Jochen Berger

© Coburger Tageblatt
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion

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Rhein-Neckar-Zeitung, 22. Mai 2010, von Pia Geimer, www.rnz.de

Klavierabend der Extraklasse mit Michael Leslie in der Stiftskirche

Der australische Pianist spielte ein anrührendes Programm aus Werken von Chopin und Beethoven als Benefizkonzert

Bereits zum vierten Male konnte am vergangenen Samstag in der Stiftskirche ein Klavierkonzert der besonderen Art stattfinden. Der aus Sydney stammende und heute in München lebende Pianist Michael Leslie spielte einige der aufregendsten und virtuosesten Werke von Frédérik Chopin (1810-1849) und Ludwig van Beethoven (1770-1827).

Einen Schwerpunkt seines umfangreichen Repertoires bildet das Spätwerk Beethovens, das er selbst als ultimative Herausforderung betrachtet und aus dem er für das heutige Benefizkonzert die letzte Klaviersonate c-moll op. 111 ausgewählt hatte.

Michael Leslie, dessen Einspielung der Hammerklaviersonate und der Diabelli-Variationen begeisterte Reaktionen ausgelöst hat, widmet seine Konzertprogramme in diesem Jahr vorwiegend den „letzten Werken“ namhafter Komponisten, so bereits vor kurzem Schuberts letztem Liederzyklus „Schwanengesang“. Heute begann er mit Frédérik Chopins Polonaise fis-moll op 44, die kein Spätwerk ist, aber mit ihrer ausgefeilten Form sicherlich ebenfalls ein Monument der Klavierliteratur darstellt. Bereits in den ersten Takten wurde klar, was Michael Leslies Spiel so besonders macht: die beträchtliche Kraft seines Tones wirkt ungeheuer konzentriert. Seine Hände bewegen sich dabei extrem sparsam, genau auf den Punkt und mit traumhaft sicherer Technik. Dabei verzichtet er vollständig auf pianistische Showeinlagen, gestaltet auch das markanteste Forte mit geschmackvoller Klarheit und maximaler Transparenz. Mit den für das Klavier deutlich überakustischen Verhältnissen in der Stiftskirche kam er bestens zurecht und machte es den gebannt lauschenden Zuhörern leicht, sich auf diese hochromantische Musik einzulassen.

Die ausgewählten Werke sind ein Mikrokosmos der Musiksprache Chopins: die virtuos-rasante Tarantella op 43 und die folgende Berceuse op 57, gewissermaßen der musikalische Gegenpol dazu mit ihren federleichten Triolen, die der Pianist wie flaumige Pappelsamen behutsam in der Schwebe hielt. Die den ersten Teil beschließende Ballade Nr. 4 op 52 geht vermutlich zurück auf ein Gedicht des polnischen Dichters Adam Mickiewicz, welches eine durch vielerlei Turbulenzen bewegte Liebesgeschichte zwischen einem Jäger und einer Nymphe erzählt. Michael Leslie wandte sich vorab direkt ans Publikum, erklärte die inhaltliche Struktur des Werkes und stellte die Leitmotive der Ballade vor, bevor er dieses mitreißende Stück Programmmusik im Zusammenhang spielte. Seine Mimik verriet auch in den virtuosesten Passagen keine übergroße Anspannung, dennoch zeigte sein Spiel bei aller technischen Perfektion eine emotionale Spannweite, deren Zauber sich niemand entziehen konnte.

Die zweite Hälfte des Konzertes war Ludwig van Beethoven gewidmet. Nach der Pause begann Leslie zunächst mit den „Bagatellen“ Nr. 1, 4 und 6, drei musikalischen „Winzigkeiten“, die trotz ihres miniaturisierten Formates bereits die typische Vehemenz des späten Beethoven zeigen. Die eigentümlich zerrissene Motivik in Beethovens Spätwerk lässt vollständig vergessen, dass der Komponist rein von seinen Lebensdaten her noch gemeinsam mit Haydn und Mozart der Wiener Klassik angehörte. Seine zweisätzige Sonate in c-moll ist ein Unikat ihres Genres und stellt vielleicht eine Art künstlerischen Vermächtnisses dar. Der erste Satz scheint mit seinen Wechseln von hochintensiven Passagen und rezitativischen Überleitungen einen Kampf anzudeuten, der mit titanischer Entschlossenheit geführt wird aber letztlich unentschieden bleibt. Der zweite Satz ist völlig anders, fünf Variationen über ein Arietta-Thema, das eine choralähnliche Kontemplation ausstrahlt, als sei hier der Kampf zu Ende - oder unwichtig geworden. Es gehört große künstlerische Reife dazu, ein solches Dokument der Vergeistigung, diesen tiefsinnigen Abschied eines großen Komponisten, so zu interpretieren, wie das Michael Leslie hier gelungen ist. Das war eine wirklich berührende Erfahrung!

Rhein-Neckar-Zeitung, 09. Mai 2010, von Pia Geimer, www.rnz.de

Gänsehaut bei Schuberts letztem Liederzyklus „Schwanengesang“

Michael Schopper (Bassbariton) und Michael Leslie (Piano)
beim 2. Guttenberger Burgkonzert

Als „Schwanengesang“ wird traditionell das letzte Werk eines Künstlers bezeichnet, so auch die Liedersammlung D 957 von Franz Schubert (1797–1828). Sie enthält 13 Lieder nach Texten von Ludwig Rellstab und Heinrich Heine, die alle zwischen August und Oktober 1828 entstanden sind, wobei ein weiteres Lied nach einem Text von Johann Gabriel Seidl erst vom Verleger hinzugefügt wurde. Schubert hat möglicherweise die sieben Vertonungen nach Rellstab und die sechs Heinelieder jeweils als zusammenhängende Zyklen konzipiert, die auch jeder für sich allein stehen könnten.

Zum 2. Guttenberger Burgkonzert hatten der Bassbariton Michael Schopper und der australische Pianist Michael Leslie sich dieser grandiosen Sammlung von Schubert kühnsten und „modernsten“ Liedern angenommen. Franz Schubert war bereits damals schwer krank, arbeitete aber unermüdlich bis zu seinem Tod mit nur 31 Jahren an einer Vielzahl der unterschiedlichsten Kompositionen. Todesahnung, Abschied, Trauer und Verlust spielen eine große Rolle in diesen letzten Werken. Michael Schopper mit seinem reifen, mächtigen Bariton ist bestens geeignet, um all diesen ernsthaften, oft sogar düsteren Gedanken eine eindringliche Stimme zu geben. Obwohl er im ersten Teil des Konzertes leicht angeschlagen wirkte und nicht unbefangen aussingen konnte - Schoppers emotionale Durchdringung und sein tiefes Verständnis für Schuberts Musik ließ den heute fehlenden stimmlichen Schmelz in der Höhe verschmerzen.

Pianist Michael Leslie am historischen Schiedmeyer-Flügel von 1855 begleitete mit feinen Nuancen und geschmeidiger Grazie. Die sieben Rellstab-Vertonungen leben vom reizvollen Kontrast zwischen wehmütigen Elegien und überraschend fröhlichen Intermezzi wie „Liebesbotschaft“ oder „Frühlingssehnsucht“, die mit ihrer jugendlichen Leichtigkeit und Agilität eher aus Schuberts frühen Jahren stammen könnten. Auch hier gibt es das Abschiedsmotiv, aber es ist ein leichtherziger, zuversichtlicher Abschied, der in „Ade, du muntre, du fröhliche Stadt“ mit schwungvoller Begleitung im Klavier bereits die rhythmischen Schritte des Wanderers vorweg nimmt.

Nach der Pause wirkte Michael Schopper stimmlich wesentlich ausgeglichener als in der ersten Hälfte und ging die sechs monumentalen Heinelieder, unter denen sich so packende, dunkel schimmernde Kostbarkeiten wie „Ich unglücksel'ger Atlas“ oder „Still ist die Nacht“ (Der Doppelgänger) finden, mit geradezu eruptiver Dramatik an. In Schuberts „Schwanengesang“ sind Klavierstimme und Gesangspart weitgehend ebenbürtig gestaltet. Michael Leslie, der im ersten Teil mit geschlossenem Klavierdeckel gespielt hatte, öffnete den Flügel jetzt und verschaffte damit seinem sehr unabhängig geführten Klavierpart mehr Präsenz. Mehrfach, aber ganz besonders im „Doppelgänger“ mit seinen wie unerbittliche Glockenschläge anmutenden Klavier-Akkorden gelang es den beiden Musikern, jene Gänsehaut zu erzeugen, wie sie sich beim Anhören wirklich großer Musik einzustellen vermag.

Nach dieser düster-melancholischen Agonie, die in Trauer und Hoffnungslosigkeit kulminiert, endet der Zyklus mit einem Lied, das in seinem Ausdruck völlig anders ist. Schubert selbst hat „Die Taubenpost“ sicherlich nicht in den Heine-Zyklus integriert, sondern sie wurde vom Verleger eigenmächtig hinzugefügt, weil es sich nachweislich um Schuberts letzte Liedkomposition handelt. Hell und fröhlich, geradezu aufgeräumt klingt dieser Abschied von der Welt, wie eine überraschende Zugabe nach all den Leiden und Zweifeln des Lebens. Die Taubenpost mag wie ein Fremdkörper wirken im „Schwanengesang“, aber ein wunderschönes Lied ist sie allemal, das Schopper und Leslie mit sichtlichem Vergnügen musizierten, ebenso wie das zur Freude der Zuhörer nach einmal wiederholte „Ständchen“ mit den wohlbekannten Zeilen „Leise flehen meine Lieder durch die Nacht zu dir“.

Concert Tour Australia Summer 2002

Sydney Opera House Reception Hall, August 16
Reviewed by Peter McCallum, The Sydney Morning Herald August 20 2002

City's lost son proves equal to music's magnificent challenges

Pianist Michael Leslie is unfortunately little known in this, his home town. A one-time classmate of Roger Woodward, and now based in Germany, he chose two of the piano repertoire's most magnificent challenges, Schubert's last Sonata, in B flat, D 960, and Beethoven's epic Hammerklavier Sonata, opus 106, to renew the acquaintance.

Each Sonata is the longest and, in the estimation of many, the greatest by its respective composer (including, in Beethoven's case, the estimation of the composer himself). What I found both immediately and cumulatively impressive was the clarity of musical thought combined with unself-consciously imaginative presentation and phrasing. Leslie is in some ways an undemonstrative player, wholly absorbed with the musical tasks on which he is engaged and for which his intellect and keyboard command seem so well suited.

Even with the long first movement repeat included (many pianists curtail the work and omit it), Schubert's great and expansive outpouring of song-like melody never palled.

Although the acoustic qualities of the Reception Hall are rather dry, thus circumscribing the range of colours and singing tone somewhat, Leslie's inner conception of each idea and its function in the whole was strong enough to guarantee coherence.

In the Beethoven, he forged a more forceful sound for the grand and implacable heroism of the first movement, while the slow movement, taken at a quickish pace to maintain forward movement, was both touching and architecturally sound.

In the terrifying fugue, Leslie achieved a clarity and cogency which I have rarely heard in live performance. Sydney's loss has been Germany's gain.

Rezensionen bei Amazon – Oktober 2010 www.amazon.de
5.0 von 5 Sternen

Gipfelstürmer

31. März 2010 Prof. Hans Alberts, Bremen (Saggitarius)

Ergoogeln kann man den Pianisten, aber hier bei amazon ist das schmale Oeuvre dieses Pianisten gar nicht ermittelbar.

„Dessen völlig ungeachtet gelten Leslies Interpretationen beispielsweise der Werke Bachs, Beethovens oder Schuberts unter Kennern als Geheimtip, möchte man doch im direkten Vergleich so manche Einspielung hochkarätiger Pianisten für immer beiseite legen. Leslies Spiel zeugt von einer unvergleichlichen künstlerischen Detailtreue, einer Reife und Durchdringung, wie man sie bei den meisten Klaviervirtuosen unserer Zeit vergeblich sucht.

Ein besonderer Schwerpunkt ist die Welt des späten Beethoven.“ findet man als Beschreibung dieses Musiker, Jg. 1943 im Netz.

Dieser Einschätzung möchte ich nachdrücklich zustimmen. Zwei der Mammutwerke von Beethoven sind hier versammelt und hört man diese in der Interpretation von Michael Leslie kann sich nur Begeisterung einstellen.

Manuell über jeden Zweifel erhaben. Leslie kann das entfachen, was Beethoven so einzigartig macht: Furor. Höre ich etwa Gilels im Vergleich zu Leslie, ist letzterer ein ganz andere Spielklasse, an Intensität. Gilels klingt geradezu harmlos im Vergleich zu Leslie. Harmlos bei diesen beiden Stücken- etwas Schlimmeres kann ihnen nicht passieren.

Leslie spielt in der Klasse von Korstick oder Richter. Bartnik schrieb seinerzeit über Korstick.„Wenn eine neue, faszinierende Sichtweise dieser Werke auf derartig hohem pianistischen Niveau vorgetragen wird, sollte man sich dies keinesfalls entgehen lassen.“ Gleiches kann ich über Leslie schreiben. Ich habe die ältere Aufnahme von Korstick ebenfalls, würde diese von Leslie fast noch vorziehen. Sein grösster Konkurrent wäre allenfalls er selbst. Ich habe eine ältere Aufnahme dieser Sonate von ihm, die mich seinerzeit bereits elektrisierte, technisch aber nicht überzeugend war. Umso erfreulicher, dass auch dieses Minus bei der Neuaufnahme jetzt beseitigt ist. Gleiches gilt für die Diabelli-Variationen.Ich kannte eine ältere Aufnahme von Radio Bremen. Und nun diese neuere Aufnahme. Halte ich etwa die hochgelobte von Piotr Anderszewski dagegegen, würde ich sie im Vergleich zu Leslie als ein wenig „betulich“ bezeichnen.

Die Interpretation würde ich derjenigen von Korstick an die Seite stellen, der dafür den Preis Deutschen Schallplattenkritik Vierteljahresliste 4/2005 bekam. Auch hier, nach meiner Auffassung leichte Vorteile für Leslie, weil er zum Beispiel im Forte nicht so grob spielt, wie seinerzeit der so belobigte Korstick.

Diese Aufnahme zeigt die ungeheure Vielfalt des Pianisten. Wer die Differenzierungskunst bewundern will, „zappe“ sich gleich auf Track 17 ff. vor. Das ist Beethoven vom FEINSTEN.

Um so dringlicher, dass man für diesen Pianisten ein wenig die Werbetrommel rührt. Nicht, dass erwartbar wäre, in Zeiten der Rundumvermarktung von meist höchst ansehnlichen jungen Damen eine grosse Chance zu haben, hier noch einen Schatz zu heben. Aber gelegentlich, selten, aber eben doch, finden Karrieren im fortgeschrittenen Alter statt. Jorge Bolet ist es gelungen. Es ist also möglich.

Man kann nur jeden, der ernsthaft an der Produktion von hochwertigstem Beethoven interessiert ist, das Anhören dieser beiden Aufnahme nahelege.

Die Kammerphilharmonie Bremen hat es für die Sinfonie gezeigt. Es gibt noch Vorzeige-Interpretation. Hier ist ein Pianist zu hören, der gleiches auf dem Klavier präsentiert.

Rezensionen bei Amazon – Oktober 2010 www.amazon.de
5.0 von 5 Sternen

Sternstunde der Beethoven-Interpretation

26. Oktober 2010 Dr. Klaus Zimmermanns, München

„Gipfelstürmer“ betitelt der Bremer Kritiker Sagittarius seine Rezension zur CD von Michael Leslie mit der Hammerklaviersonate und den Diabelli-Variationen. Beide Werke zählen - darüber gibt es keinen Zweifel - zu den Gipfeln der Klaviermusik. Für Andras Schiff ist die Hammerklaviersonate das schwierigste Werk der Klavierliteratur technisch, gestalterisch, atmosphärisch, metaphysisch. Natürlich wird man skeptisch, wenn Michael Leslies Interpretation dann derart hervorgehoben, so grenzenlos bewundert wird: Gilels klingt geradezu harmlos in Vergleich zu Leslie. Ist das nicht übertrieben? Dem musste ich nachgehen und hörte zahlreiche Aufnahmen, dazu noch Joachim Kaisers vierstündige Rundfunksendung (Kaisers Corner) zur Hammerklaviersonate und zusätzlich eine Sendung zu den Diabelli-Variationen. Ich höre und vergleiche, höre wieder und vergleicheSerkin, Arrau, Pollini, Gulda, Solomon, Schiff, Sviatoslav Richter, Gilels Ich komme zu dem Ergebnis: Dem Rezensenten kann man nur zustimmen. Keiner hat so - wie Leslie - die spezifisch beethovensche Expressivität, den Furor zum Ausdruck gebracht (mit Ausnahme vielleicht von Schnabel, dem allerdings nicht die adäquate Klaviertechnik zur Verfügung stand). Die meisten Interpretationen wirken dagegen zumindest auf mich - doch etwas unbeteiligt, etwas zu akademisch-risikolos, manchmal auch zu allgemein-bedeutungsvoll. Natürlich hat auch eine ruhig-intime Interpretation eines Serkin ihre Reize, aber man vermisst doch - wenn man es einmal erlebt hat - das sich Aneinanderreibende der Melodien, die spezifische Dramatik Beethovens. Sie ist etwas anderes als ein allgemein gehaltenes Pathos (etwa slawischer Färbung). Viele Pianisten haben die expressiven Seite Beethovens wenig herausgestellt, auch die Aufnahmen unserer bedeutendsten Pianisten können gelegentlich etwas langweilig sein so Joachim Kaiser in einem Vortrag 2010 zu einer Interpretation Claudio Arraus eines späten Beethovensatzes. Nicht befriedigend, weil viel zu wenig differenzierend, ist beispielsweise Arraus auf CD vorliegender Mitschnitt der Diabelli-Variatonen (wenn auch gewiss nicht repräsentativ für diesen großen Interpreten).

Wer zunächst einmal erfahren will, welch unermessliche Ausdrucksskala Michael Leslie zur Verfügung steht, höre zunächst in die Diabelli-Variationen hinein. Die bei jeder Variation immer wieder erneut verblüffenden kompositorischen Einfälle Beethovens steht eine schier unbegrenzte Varietà der pianistischen und interpretatorischen Gestaltungsmittel zur Verfügung, die in dieser reichen, extremen und brillanten Form wohl keines Gleichen hat. Beethovens und Leslies Gestaltungsmöglichkeiten in diesem auf Kontraste angelegten Zyklus treffen in der Hammerklaviersonate gebündelt und miteinander verschränkt zusammen: Die Themen verbeißen sich wie Kampfhunde (so Leslie eigene Worte im Begleitheft zur Fuge). Leslie geht auf alle Verästelungen, Nebenstimmen, Andeutungen, Engpässe ein und wahrt dennoch den großen Bogen, die Kontinuität. Bei allen kontrastierenden Gestaltungsmöglichkeiten ist jedem der Sätze ein großer durchgehender Zug eigen. Und gerade das Kontinuum, verbunden mit der Herausarbeitung der Details, mag wohl Leslies größte Stärke sein. Ähnliches erstrebt das Artemis Quartett. Durch ein extrem genaues Eingehen auf Einzelheiten und Zusammenhänge werden die späten Streichquartette Beethovens nicht nur anders, vielleicht auch richtiger als gewohnt vorgetragen: ihre Interpretationen haben das zusätzliche Plus, dass sie das Hören erleichtern. So auch Michael Leslie: Bei ihm ist das Eindringen und eine längere Konzentration auf die beiden Riesenwerke nicht ermüdend, gerade weil nichts unter den Tisch fällt und er nie langweilt. Freilich muss man als Zuhörer die Kontraste und auch die Disharmonien der Spätwerke Beethovens aushalten können, insbesondere wenn sie nicht geglättet und damit doch etwas verharmlost werden.

Auch darin hat der Amazon-Rezensent ein gutes Gespür: Leslies einziger Konkurrent ist er selbst, auch wenn Sagrittarius selbst wohl nicht das Glück hatte, Leslies Münchener Gasteig-Konzert im Herbst 2009 mit der Hammerklaviersonate zu hören: An diesem Abend klang das Adagio sostenuto, vorgetragen in einem etwas langsameren Tempo, noch beseelter, ergreifender als auf der wunderbaren CD.

So kann man nur hoffen, dass diese herausragenden Aufnahmen nicht nur wenige Neugierige und Aufgeschlossene erreichen und dass dieser selbstkritische Künstler, der sich wenig um seine Karriere, dafür umso mehr sich um das Eindringen in die großen Klavierwerke bemüht, uns noch weitere CDs einspielt. Oder sollten es immer nur dieselben Allbekannten oder die ganz Jungen mit ihren fotogenen Gesichtern sein, die wir in den Medien oder in den großen Sälen zu hören bekommen, selbst in den Fällen, wo Ihnen weniger Werkverständnis und weniger pianistische Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen? Wann begreift das große Publikum endlich, dass man - verführt vom Cover - nicht mit den Augen Musik hört, sondern mit dem Gehörsinn und dem Musikverstand?

online-Musik Magazin, reviewed by Christoph Wurzel www.omm.de

Ludwig van Beethoven: Volkslieder und Variationen op. 107

Bisher ungehobene Schätze: Ein Geschenk für jemanden, der sonst schon alles hat.

Es gibt doch tatsächlich immer noch etwas zu entdecken, selbst bei einem Großmeister wie Beethoven. Als CD – Erstveröffentlichung ist von ihm jetzt eine Sammlung von Klaviertrio – Variationen über Volksliedkompositionen erschienen, die bisher offenbar in jeder „Gesamtaufnahme“ übersehen worden sind. Beethoven hatte zwischen 1809 und 1820 im Auftrag des schottischen Verlegers Thompson zahlreiche Volkslieder bearbeitet, zumeist britischer, aber u. A. auch deutscher, österreichischer oder irischer Herkunft. Viele davon sind auch eingespielt, zum Teil in schönen Aufnahmen. Über zehn solcher Lieder hat Beethoven, auch in Thompsons Auftrag, Variationen komponiert, die er für Violine oder Flöte mit Cello und Klavier gesetzt hat. Unter Opus 107 sind sie zusammengefasst. Und diese Stücke sind nunmehr erstmals auf CD eingespielt und von der Büchergilde Gutenberg exklusiv vorgelegt worden.

In dieser Einspielung sind die Lieder selbst enthalten und jeweils mit der dazugehörigen Variation gekoppelt. Nicht eigentlich wegen der Lieder lohnt sich diese Scheibe, um so mehr dafür wegen der Variationen! Von Liebenslust und Abschiedsschmerz, von Neckereien und Schmeicheleien handeln die Lieder. Michael Schopper singt sie etwas zu behäbig und schwer, auch ohne den nötigen Humor und das Lyrismo. Die Variationen aber werden als virtuoses Feuerwerk präsentiert, dass es nur so eine Freude ist. Beethoven hat zur relativ einfach geführten Melodiestimme einen enorm geistreichen und schwierigen Klaviersatz komponiert, der vor Energie und Lebenslust nur so sprüht. Er zerlegt das motivische Material so kunstvoll wie in den bekannten großen Variationszyklen, doch ich möchte meinen noch um Einiges temperamentvoller und ausgelassener. Jedenfalls spielt das Trio Andrea Jacobs (Violine), Thomas Ruge (Violoncello) und Michael Leslie (Klavier) schwungvoll wie auf der Dorfkirmes und seriös zugleich, als gelte es noch zu beweisen, welche Schätze hier gehoben werden. Die furiosen Finali reißen buchstäblich mit. „Schön Minka, ich muss scheiden...“ – ach hörte doch diese Variation niemals auf! Es sind allesamt Trouvaillen der Kammermusik. Reizvolle Synthesen von ursprünglicher Lebensfreude und raffinierter Kunstfertigkeit. Ein Tipp, den Sie nicht bereuen werden!

Buchclub Büchergilde Gutenberg Online Rezension www.buechergilde.de
Labi, Gyimah / Leslie, Michael

Five Dialects in African Pianism

Was der in Sydney geborene und in München lebende Michael Leslie hier spielt, klingt wie zeitgenössische Klaviermusik. Das ist es auch, erinnert Earthbeats , das 12-minütige Herzstück dieses Zyklusses, doch an den späten Alexander Skriabin. Aber die Five Dialects sind etwas Besonderes, Außergewöhnliches. Sie wurden von einem ghanaischen Komponisten geschaffen, von Gyimah Labi, der in seinem Werk die Musik seiner Heimat mit den großen abendländischen Formen in Einklang bringt. Seinen Stücken liegen etwa Volksweisen der Anlo-Ewes, einer Volksgruppe von der ghanaischen Ostküste, zu Grunde sowie Liedhaftes, das Pappoe Thompson, ein Chormusik-Komponist aus Ghana geschrieben hat. Außerdem: Folk und Populärmusik aus dem westafrikanischen Land und Kirchenlieder, wie sie uns geläufig sind. Diese euroafrikanische Klaviermusik des Leslie-Freundes Labi ist in ihren Zitaten und eindringlichen melodiösen Formeln (man achte etwa auf die aufsteigende Dramatik in The Ancients Revisited ) zugänglich, geradezu eingängig, erfordert in ihrer innovativen Komplexität aber durchgängig die ganze Aufmerksamkeit des Hörers.